Bewertungsmethoden

 


Ertragswertmethode

Nach der betriebswirtschaftlichen Unternehmenslehre wird der Wert eines Unternehmens nach dem Nutzen bestimmt, den er dem Erwerber zukünftig erbringen wird. Es wird die Summe aller Vorteile, nach Abzug aller zu erwartenden Nachteile, die sich aus der Praxis ergeben, bewertet. Wobei davon ausgegangen wird, dass es finanzielle Vorteile und nicht finanzielle Vorteile gibt. Diese differenten Vorteile können für jede Bewertung ein unterschiedliches Gewicht haben. Für die betriebswirtschaftliche Unternehmenslehre gilt als typischer Bewertungsgegenstand gewerbliche Unternehmen. Auf die Bewertung von Arztpraxen (freiberufliche Praxen im Allgemeinen) wird in der Literatur nur selten eingegangen. Hilfsweise wird die Arztpraxis als eine wirtschaftliche Unternehmenseinheit mit dem Ziel, Leistungen am Markt gegen Entgelt zu erbringen, dargestellt. Nur die Tatsache, das ein niedergelassener Arzt als wirtschaftliche Zielsetzung über das Entgelt für die erbrachten Leistungen die Sicherung seines Lebensunterhaltes anstrebt, lässt nicht auf ein Unternehmen schließen.

 

Auch wenn Arztpraxen häufig als freiberufliche Unternehmen bezeichnet werden, kann das Ertragswertverfahren nicht ohne Weiteres zur Bewertung herangezogen werden. Sowohl bei gewerblichen Unternehmen, als auch bei Arztpraxen gilt für die Bewertung der zukünftige Nutzen. Schmidt-von Rhein geht davon aus, dass "auch das Instrumentarium der betriebswirtschaftlichen Bewertungslehre auf die Bewertung von Freiberuflerpraxen übertragen werden kann, dies jedoch davon abhängt, inwieweit zwischen Freiberuflerpraxen und gewerblichen Unternehmen bewertungsrelevante Unterschiede bestehen. Für wertbeeinflussende Besonderheiten von Freiberuflerpraxen sind Lösungsansätze nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu entwickeln."

 

Auch wenn die direkte Ableitung der Ertragswertmethode aus der Investitionstheorie als deren entscheidender Vorteil angesehen wird, wird sich in der alltäglichen Praxis der Preis aus Angebot und Nachfrage bilden.

Über die modifizierte Ertragswertmethode ist es nun gelungen, die Besonderheiten der Arztpraxis in die Bewertungsmethode einfließen zu lassen.

Bei der Ertragswertmethode ist der Ertragswert des Unternehmens der Barwert der abgezinsten finanziellen Überschüsse. Dieser Grundsatz gilt als einziger rationaler Wert eines Unternehmens.

Geht man davon aus, das aus dem Unternehmen ein unendlich dauernder, jährlich gleich hoher Ertrag erzielt wird, ist der Ertragswert als Barwert einer ewigen Rente zu errechnen.

 

Eine unbegrenzte Lebensdauer wird bei der Bewertung von gewerblichen Unternehmen unterstellt. Dieser Ansatz kann bei Arztpraxen nicht erfolgen. Helbing unterscheidet hier zwischen der Ertragswertmethode aufgrund künftiger Gewinne und aufgrund künftiger Einnahmeüberschüsse.

 

Der Praxiswert wird in der Hauptsache von der Person des Praxisinhabers geprägt. Dadurch lässt sich die reine Ertragswertmethode nur in modifizierter form ansetzen. Ausgangspunkt ist die Unterstellung, dass der Praxiserwerber einige Jahre benötigt, um sich eine vergleichbare Praxis aufzubauen, soweit nach dem SGB V überhaupt möglich. Der Praxiswert wird als Barwert der Nettoüberschüsse der Praxis für die vergangenen Perioden ermittelt, wobei der Nettoüberschuss als Jahresumsatz minus tatsächlichen und kalkulatorischen Kosten (z. B. Zinsen, AfA, Unternehmerlohn etc.) definiert ist.

Soweit die Lebensdauer eines Unternehmen zeitlich begrenzt ist, ergibt sich der Ertragswert durch Abzinsung der über die Lebensdauer des Unternehmens entstehenden finanziellen Überschüsse mit dem Kapitalisierungszinsfuß auf den Bewertungsstichtag. Wurde der Ertragswert bisher um den abgezinsten Liquidationswert erhöht, so wird nun der tatsächliche Funktionalwert berücksichtigt. Bei Übernahme einer Arztpraxis verflüchtigt sich der Goodwill des Vorgängers je nach Fachrichtung und Struktur der Praxis in einer Zeit von zwei bis fünf Jahren.

 

Ist der Ertragswert niedriger als ein zu erzielender Liquidationswert, so bildet der Liquidationswert die Untergrenze des Praxiswertes. Der Ertragswert ist der Gesamtwert der Praxis. Der Goodwill lässt sich nur dadurch ermitteln, dass vom Ertragswert der Substanzwert subtrahiert wird.

 

Nach der nutzenorientierten Bewertung wird der Wert eines Unternehmens allein von dem Nutzen bestimmt, den der Inhaber aus ihm ziehen kann. Die vorherrschende Perspektive, dass ein Bewerter stets nur ein -bewertungsverfahren, nämlich das nutzenorientierte Ertragswertverfahren anzuwenden habe, wird weder der Praxis, dem Markt noch der Wissenschaft gerecht. Ist die Anwendung der Methode als "Alleingültigkeitsanspruch des Ertragswertverfahrens" bei gewerblichen Unternehmen schon fragwürdig, so ist sie bei der Bewertung von Arztpraxen umso mehr zu hinterfragen. Selbst die Rechtsprechung hat auf die Festlegung einer bestimmten Methode oder rauf ein bestimmtes Bewertungsverfahren verzichtet.

 

Ein niederlassungswilliger Mediziner wird entgegen der Meinung von Schmidt-von Rhein keine großartigen anderen Handlungsmöglichkeiten und Alternativen haben. Die Situation in den Krankenhäusern wurde ausgiebig geschildert. Darum ist der Nutzenvorteil gegenüber anderer (der besten) Handlungsalternativen mehr akademischer Natur, von Einzelfällen abgesehen.

Ist die Ertragswertmethode auf die Bewertung von Arztpraxen anwendbar?

Bei den gewerblichen Unternehmen wird eine unbegrenzte Lebensdauer unterstellt, was sicherlich bei Arztpraxen nicht möglich ist. Dies erkannt, wird die Ertragswertmethode modifiziert und mit einer begrenzten Lebensdauer bedacht. Gegen die Ertragswertmethode spricht, dass die Ermittlung eines angemessenen Kaufpreises bei Arztpraxen durch diese erfolgsorientierte Bewertungsmethode nicht marktgerecht sichergestellt wird. Durch die bereits aufgezeigten Grenzen, bedingt durch Gesundheitspolitik, Gesetze, Kammerordnungen und standespolitische Verordnungen, ist der Beruf "Freiberufler" nicht mit anderen Berufen zu vergleichen.

Problematisch ist die Anwendung dieser Methode bei hoch technisierten Praxen, die einen enormen medizintechnischen Park besitzen (z. B. Radiologen etc.) und bei extrem kleinen und defizitären Praxen.

Auch die Rechtsprechung hat dies mit wenigen ausnahmen erkannt. "Die Ertragswertmethode ist von der Betriebswirtschaft zur Bewertung großer Unternehmen entwickelt worden".

Die modifizierte Ertragswertmethode hat sich aber mittlerweile bei der Bewertung von Arztpraxen durchgesetzt. Mit wenigen Ausnahmen werden Praxen durch Sachverständige, gem. dem IDW-Standard, nach dieser Methode bewertet.

Mit dem Urteil vom 15.1.2009 hat das Oberlandesgericht Hamm basierend auf einem Gutachten, ohne Änderung des Gutachterergebnisses, sich einem Sachverständigen angeschlossen und das von ihm angewandte modifizierte Ertragswertverfahren bei der Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen gebilligt. "Dem Senat erscheint diese Methode als nachvollziehbar, widerspruchsfrei, angemessen und deshalb geeignet."

In einem neueren Urteil vom 2.2.2011 hat der BGH nochmals bestätigt, dass die Ertragswertmethode heranzuziehen ist, weil Umsatzwertverfahren aus methodischen Gründen den notwendigen Abzug eines Unternehmerlohns weder vorsieht noch erlaubt.

 

Quelle: Bewertung von Arztpraxen und Kaufpreisfindung, Auto: Horst G. Schmid-Domin
4., neu bearbeitete Auflage, Seiten 152 ff